
CC BY 2.0 Roberto Verzo
Unter dem nur halb passenden Titel “Hebammen in Not – Hausgeburten vor dem Aus?” ging es am 8. Juli eine Stunde um die aktuelle Situation der Hebammen. Neben Umfragen und Elterngesprächen gibt es auch ein Gespräche mit Katharina Jeschke, Präsidiumsmitglied des Deutschen Hebammenverbands, Edgar Franke (SPD), Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Bundestag, und der stellvertretenden Pressesprecherin des Spitzenverbandes der Krankenkassen, Ann Marini. Gleich ab Minute 4:50 sagt diese, dass freiberufliche Hebammen in Deutschland vielleicht einfach alle ihren Beruf an den Nagel hängen sollten. Weil es kein Geld gibt. Die Hebammen müssten sich fragen „lohnt sich das finanziell?“.
Eine Aussage, die erstmal so stehen darf, bis ein Anrufer(!) nachfragt und darauf hinweist, dass doch der Spitzenverband der Krankenkassen eine gesellschaftliche Verantwortung hat und auch die Gebührenordnung mitgestaltet. Da windet sich Frau Marini heraus, die Hebammen müssten das halt durchrechnen – was durchaus klingt, als seien Hebammen entweder zu doof zum Rechnen oder zu faul. Dass die Rechnungen des Spitzenverbands unrealistisch sind, hat der Journalistinnenbund bereits nachgerechnet. Außerdem, so Marini, sollten die Hebammenverbände bessere Konditionen aushandeln. Edgar Franke erklärt das ebenfalls. Unerwähnt bleibt, dass es sich bei den Hebammenverbänden und dem Spitzenverband um sehr ungleich große und mächtige Verhandlungspartner handelt.
Was zusätzliche Arbeit bedeutet: Neben den finanziellen Verhandlungen sind auch eine Reihe an weiteren medizinischen Regelwerken in der Diskussion sowie die ungeklärten Rahmenbedingungen des Sicherstellungszuschlags. Besonders debattiert wurden in der Sendung dann die Qualitätskriterien für Geburtshäuser und zukünftig Hausgeburten. Die sind wissenschaftlich nur bedingt abgesichert, da Geburtshilfe ein schlecht erforschtes Feld ist. Neu hinzu kommen soll die Einschätzung von Frauenärzt_innen, die damit auch in die Haftung genommen werden könnten. Auf der „anderen“ Seite, nach der Geburt und bei Geburtsfehlern wird es den „Regressverzicht“ und damit eine Unterscheidung zwischen grober und einfacher Fahrlässigkeit. Eine Entscheidung des Bundestags und etwas, dass so noch nirgendwo in der Medizin vorgenommen wird. Laut dem Westen kein Anreiz, wieder neue Haftpflichtversicherungen einzuführen (es gibt inzwischen nur noch ein Angebot) – aber eine Steilvorlage für Gerichtsprozesse zwischen Kassen und Hebammen bei jedem Schadensfall. Das bleibt unerwähnt, genau wie die Angst vieler Hebammen, auch um Sicherstellungszuschläge und Qualitätskriterien ständig vor Gericht zu stehen.
Ein weiterer Anrufer hakt nach, wie die Hebammen künftig die Vorsorge und Wochenbettbetreung stemmen sollen? Hier, wie an anderer Stelle, erklärt Marini, die Freiberuflichkeit sei ein Problem. Den Versorgungsauftrag hätten die Hebammen und Kliniken, die müssten sich nun kümmern, das Wochenbett zu betreuen, sie selbst und die Krankenkassen hätten keine Ideen. Aber es gäbe nicht zu wenige Hebammen, sondern nur ein Verteilungsproblem. Jeschke hält später dagegen: Maximal gäbe es eine Hebamme auf 65 Gebärende, in Norwegen eine Hebamme für nur 15 Gebärende. Wie also könnte individuelle Geburtsbegleitung aussehen? Die Frage bleibt unbeantwortet.
Spätestens jetzt wird deutlich, wie die Hebammenfrage ein Vorzeigebeispiel für die Politik Angela Merkels ist. Getan wird nur das Allernötigste, politische Visionen fehlen. Was es gibt, ist des Begriffs Vision nicht würdig: Wer aufgibt, hat nicht hart genug gearbeitet oder wohnt am falschen Ort. Es fehlt der Blick für Geschlechtergerechtigkeit, wenn die aufgebenden Hebammen oft selbst Mütter sind. Die intime Arbeit der Geburtsbegleitung soll vom Kapitalismus gelöst werden; irgendwer müsse nur das Geschäftsmodell entwickeln. Vielleicht tut er das irgendwann, aber von Haarshampoo bis Diätzeitschriften verkauft der Kapitalismus Frauen seit Jahrzehnten vor allem Dinge, die er vorher als Defizite ausgemacht hat. Das lässt nichts Gutes ahnen für die Geburtsbegleitung. Wer bis dahin den Beruf aufgegeben hat oder von der Geburt traumatisiert wurde, hat halt persönlich Pech gehabt. Die Menschenwürde der Einzelnen fällt unter den Tisch, seien es die Mütter, die Väter, die Babies, die Hebammen oder Geburtspfleger.
Neben dem Irrlichtern der Politik wird mit diesem Beitrag auch die Hilflosigkeit der Medien deutlich. Das Interesse ist, wie die zahlreichen Anrufer_innen beweisen. Ab Minute 33 gibt es ein leidenschaftliches Plädoyer einer Elternvertreterin. Dennoch ist das Thema in sechs Jahren kaum einmal in den Fernseh-Talkshows gewesen. Wo sind die Interviews, die Kanzlerin Angela Merkel, Gesundheitsminister Hermann Gröhe, die Vorstände der Krankenkassen und des Spitzenverbands der Krankenkassen in die Pflicht nehmen? Die langen Hintergrundartikel über die Entwicklung der Hebammenkunde von Anno dazumal bis heute und die wirtschaftlichen Analysen für neue Beschäftigungsmodelle?
Da sind die Facebook-Diskussionen auf den Hebammenprotestseiten weiter und zeigen: Alternativen zur Freiberuflichkeit sind unrealistisch. Auch die Hebammenpraxen schließen und alle Ideen in Richtung der mobilen Pflegedienste sind Hohn, wenn zeitgleich der #Pflegestreik läuft. Wenn der so schnell in Medien und Politik ankommt, wie einst die Hebammenkrise, wird diese Erkenntnis allerdings noch Jahre auf sich warten lassen. Wohnheime für Schwangere, analog zu Pflegeheimen, gibt es inzwischen in Gegenden ohne Geburtstationen. Doch die werdenden Eltern sind überraschenderweise wenig begeistert und jede zehnte Geburt passiert auf dem Weg ins Krankenhaus, auf der Autobahn oder im Hubschrauber. Ist das wirklich günstiger?
Das sind Fragen, auf die ich nach sechs Jahren endlich Antworten möchte.
PS: Einen weiteren aktuellen Beitrag gab es bei Mona Lisa, die die Schwierigkeiten bei der Hebammensuche für die Nachsorge zeigt und die Unterversorgung in Münchner Geburtstationen.
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