Reproduktionspolitik in Deutschland – menschenverachtender geht’s kaum

Seit heute nachmittag ist klar: Ab nächstem Sommer können Hebammen freiberuflich keine Geburten mehr begleiten. Das Aus für Hausgeburten, Geburtshäuser und Belegstationen, denn in Deutschland müssen Geburten per Gesetz von Hebammen begleitet werden.

Gebären geht dann nur noch in großen Krankenhäusern mit im Schichtbetrieb wechselnden Kräften, die mehrere Geburten gleichzeitig betreuen. Hebammen können Schwangere nicht mehr individuell vorbereiten, bei der Geburt begleiten und nachsorgen. Massenabfertigung auf überfüllten Geburtstationen statt vertrauensvoller Geburtshilfe und Wahlfreiheit des Geburtsortes.

Mit dem Wegfall ihres „Kerngeschäfts“ haben in den vergangenen Jahren viele Hebammen komplett den Beruf aufgegeben, so dass auch die Vorbereitung und Nachsorge inzwischen nicht mehr überall gewährleistet werden können. Der Start ins Leben wird für Neugeborene in Deutschland zum Glücksspiel.

Gleichzeitig debattiert jetzt der Bundestag über die Rezeptpflicht der „Pille danach“. Über deren minimale Risiken, den Zeitfaktor und die Erfolge in vielen Ländern weltweit ist bereits alles gesagt worden. Dennoch weigert sich die CDU, Menschen in Not einen Gang zur Ärztin oder eine Fahrt in die Klinik zu ersparen und die Kompetenz der Apotheker_innen anzuerkennen.

Noch ist die flächendeckende Versorgung mit Apotheken und ihre Erreichbarkeit deutlich besser als die von Ärzt_innen. Die Botschaft der (fast ausschließlich) Politiker ist klar: Frauen und Transmännern ist nicht zu trauen, über ihren Körper selbst zu entscheiden.

Einen Schritt weiter gehen die Krankenkassen bei der Übernahme der Kosten für künstliche Befruchtung: Kinder sind nur bei verheirateten, heterosexuellen Paaren erwünscht.

Während die Politik in den letzten Jahren in der Wirtschaft viel dereguliert hat, staatliche Konzerne privatisierte und Märkte öffnete, um Wahlfreiheit zu schaffen, bleibt die Reproduktionspolitik rigide oder verschärft aufgrund ihrer Untätigkeit die Situation. Dass dies Menschen in Deutschland betrifft – Männer, Frauen und Intersexuelle, Erwachsene und Neugeborene – und ihnen das Leben schwer macht, ist wohl scheißegal.

Update nach der Bundestagsdebatte zur Pille Danach:
Jetzt wird das Ganze also an Ausschüsse verwiesen, die wieder von vorne anfangen zu debattieren. Als ob es nicht schon unzählige Empfehlungen und Gutachten gäbe. Hightlight: „Bei der ‚Pille danach‘ will ich keine Schnellschüsse.“ Und Bonuspunkte an die CDU-Redner_innen, die nicht nur konsequent von Frauenärzten und Apothekern sprachen, sondern auch von Patienten. Damit meint ihr doch schwangere Transmänner?

Leseempfehlungen (siehe auch die Trackbacks):
Frische Brise: Hebamme – ein aussterbender Beruf
Von guten Eltern: Meine Mutter war früher mal Hebamme
Gleisbauarbeiten: Wir brauchen HEBAMMEN!
Journelle: Frauensmarties
Kindersegen: Hebammen – wollt ihr sie wirklich wirklich? Na dann los!
Regine Heidorn: Hebammentochter
Juramama: Deutschen Frauen werden die Hebammen gestrichen. So sieht’s nämlich aus.
amberlight-label: Hebammenpetition & Wiegetuch
Familie Gurkenhals: In was für einem Land leben wir eigentlich?

Links! Trekkie-Keller und Manstruation

Ein schwarzes Mädchen in lila Trainingshosen dreht sich auf dem Kopf.

Screenshot von Jungle – Platoon feat. B-Girl Terra

Liebe Leserinnen. Es ist wieder Zeit für eine #InWoche (die mit dem generischen Femininum).

Nach den Vorfällen in Köln – die Pille danach muss rezeptfrei werden

Eine bunte Mischung Pillen

Omnomnom. The more, the merrier. CC BY 2.0 e-magineart.com

In Köln wurde eine Frau nach einer mutmaßlichen Vergewaltigung bei den katholischen Krankenhäusern abgewiesen – schließlich müsste mensch sie über die Pille danach aufklären und vielleicht sogar verschreiben. Leider kein Einzelfall in Köln und auch in anderen deutschen Städten sieht es düster aus. Selbst an Unikliniken, die nicht konfessionsgebunden sind. Und auch wenn evangelische Kliniken die Pille danach herausrücken, läuft dies nicht ohne „pädagogische Maßnahmen“ ab. Auf Neudeutsch slut shaming, eine ordentliche Standpauke, dass ja wohl was schief gelaufen sei.

Diese scheinen auch bis heute der Hauptgrund zu sein, die Pille danach nicht wie in inzwischen 28 europäischen Ländern rezeptfrei abzugeben. Pointiert verdeutlicht das die Sprecherin des Hannoverschen Friederikenstifts:

Wie „Bonbons“ würden die Pillen aber nicht verteilt.

Als ob Frauen sich den Hormoncocktail regelmäßig aus Spaß reinkippen würden. Auch wenn es keine gefährlichen Nebenwirkungen gibt, sind die Aussicht auf Übelkeit und Bauchschmerzen doch das Gegenteil eines leckeren Nachtischs. Immer wieder wird die Gefahr der pillenschluckenden Teenager heraufbeschworen. (20 auf einmal! Mindestens!) Dass sich dies in den anderen Ländern nicht gezeigt hat, wird unterschlagen.

Bevor ein Rezept ausgestellt werde, müssten sich die Frauen von der diensthabenden Gynäkologin beraten lassen, sagt die Kliniksprecherin.

Der Normalzustand der deutschen Frauen scheint also zu sein: Zu blöd zum Verhüten, deshalb muss ihr eine Beratung aufgedrängt werden. Dass niedrigschwellige Angebote für Frauen mit Verhütungsfragen eventuell besser funktionieren könnten als eine herablassende Zwangsbelehrung – geschenkt. Worum es dabei nicht geht ist die Anleitung zum Einnehmen und Aufklärung über Nebenwirkungen. Das können auch die Apotheker_innen. Genauso wie weitere Informationen zu Verhütungsmitteln und Beratungsstellen anzubieten.

Nein, um Aufklärung geht es nicht. Sondern Menschen mit Gebärmutter eindeutig klar zu machen, dass diese nicht zu ihrem Vergnügen da ist. Mit der (selbst unfreiwilligen) Nutzung wird das Recht auf menschenwürdige Behandlung abgegeben, alle anderen haben die moralische Deutungshoheit. Und wer „aus Spaß“ mal nicht verhütet, muss halt die Konsequenzen tragen, denn Demütigung als Erziehungsmethode hat schon immer super funktioniert. Nicht.

Demnächst wird im Gesundheitsausschuss des Bundestags der Antrag von Mechthild Rawert diskutiert. Sie will die Pille danach ohne Rezept. Nach den letzten Vorkommnissen ist es höchste Zeit dafür.